Robert Johnson gilt als mysteriöser Pionier des Delta Blues und sein Album „The Complete Recordings“ (eine Doppel-CD mit allen erhaltenen Aufnahmen) wird oft als das bedeutendste Blues-Album aller Zeiten angesehen. Im Rahmen einer neuen Serie auf diesem Blog – Die besten Bluesalben aller Zeiten – bespreche ich als erstes dieses Album.
Diese Sammlung enthält sämtliche Songs, die der legendäre Bluesmusiker in den 1930er Jahren aufgenommen hat. Johnsons gesamte bekannte Diskographie umfasst lediglich 29 unterschiedliche Songs (plus einige Alternativ-Aufnahmen), doch diese wenigen Titel haben die Musikgeschichte nachhaltig geprägt. Im Folgenden gehe ich auf Johnsons Leben, seine Aufnahmesessions von 1936/37, die Entstehung der Complete Recordings-Edition und Robert Johnsons beispiellosen Einfluss auf den Blues und die Rockmusik ein.
Der mysteriöse Bluesmann: Leben und Legende
Robert Johnson wurde 1911 in Hazlehurst, Mississippi, in eine arme afroamerikanische Farmerfamilie hineingeboren. Sein Leben war von Tragödien geprägt – als junger Mann verlor er seine erste Frau Virginia und ihr gemeinsames Kind bei der Geburt. Fortan zog es Johnson in die Juke Joints des Mississippi Deltas, wo er sein Glück als Bluesmusiker suchte. Anfangs war sein Gitarrenspiel bescheiden und wurde von älteren Musikern wie Son House belächelt; er galt als „laut und störend„. Doch Johnson verschwand eines Tages für ungefähr ein Jahr von der Bildfläche und kehrte plötzlich mit verblüffenden musikalischen Fähigkeiten zurück. Seine Gitarre „sang“ auf einmal mit virtuoser Fingerfertigkeit – so sehr, dass seine ehemaligen Mentoren ihren Ohren kaum trauten und sich fragten, welchen Preis er dafür gezahlt hatte.
Diese drastische Verwandlung begründete die berühmte Legende vom Teufelspakt: Johnson soll der Überlieferung nach an einer einsamen Kreuzung dem Teufel seine Seele verkauft haben, um übernatürlich gut Gitarre spielen zu können. Gerade in der schwarzen Bevölkerung der Zeit war es ein verbreitetes Motiv, plötzliche außerordentliche Begabungen mit dunklen Mächten zu erklären. Johnsons selbst trug zur Mystifizierung bei – er dementierte die Gerüchte nie und streute in manchen Songtexten sogar Anspielungen auf den Teufel und dunkle Mächte bei. So heißen einige seiner Stücke bezeichnenderweise Cross Road Blues (dt. „Kreuzweg-Blues“), Me and the Devil Blues und Hellhound on My Trail. In Cross Road Blues etwa fleht der Sänger um Erlösung, „damit die Dunkelheit mich nicht erwischt“.
Die Familie von Robert Johnson hält allerdings eine einfache Erklärung parat: In jener „verschwundenen“ Zeit soll Johnson intensiv mit dem Blues-Gitarristen Ike Zimmerman geübt haben. Der Legende nach brachte Zimmerman ihm das Gitarrenspiel sogar nachts auf Friedhöfen bei (dort konnten sie ungestört üben). Wie auch immer – Johnsons rapide Entwicklung vom Lehrling zum Meistergitarristen bleibt außergewöhnlich. Sein Status als mysteriöse Kultfigur des Blues wird ferner dadurch befeuert, dass es aus seinem Leben kaum dokumentarisches Material gibt: Es existieren nur zwei bestätigte Fotos von Robert Johnson, und Filmaufnahmen oder Interviews sucht man vergeblich. Diese spärlichen Fakten tragen dazu bei, dass Johnsons Person von Mythen umwoben ist.
Trotz aller Legenden ist sicher, dass Robert Johnson in den Jahren 1936 und 1937 an zwei Aufnahme-Sessions teilnahm, bei denen sein komplettes musikalisches Vermächtnis entstand. Der Talentscout H.C. Speir vermittelte den jungen Bluesman an die Plattenfirma ARC (American Record Corporation), die mobile Aufnahme-Studios im Süden betrieb. Die erste Session fand im November 1936 in San Antonio, Texas statt: Vom 23. bis 27.11. nahm Johnson in einem temporären Studio im Gunter Hotel 16 Songs auf. Als allerersten Song spielte er “Kind Hearted Woman Blues“ ein. Weitere Stücke dieser Session wie “I Believe I’ll Dust My Broom“ und “Sweet Home Chicago“ wurden später zu Blues-Standards. Mit “Terraplane Blues“ gelang Johnson sogar ein kleiner Hit im Süden – die schelmisch-metaphorische Nummer über ein „Automobil“ wurde zu seiner meistverkauften Platte.
Die zweite Aufnahmesession folgte gut ein halbes Jahr später im Juni 1937 in Dallas. Am 19. und 20.06.1937 nahm Johnson dort weitere 13 Songs auf, im provisorischen Studio im Gebäude der Warner/Vitagraph-Filmgesellschaft. Auch diese Stücke – darunter „Love in Vain“, „Me and the Devil Blues“ oder „Stop Breakin’ Down Blues“ – gehören heute zum Kanon des Delta Blues. Insgesamt kommen wir damit auf 29 verschiedene Songs, die Robert Johnson zu Lebzeiten auf Schallplatte bannte. Einige Titel spielte er in zwei verschiedenen Takes ein; von diesen Alternativaufnahmen blieben allerdings etliche zunächst unveröffentlicht. Erst Jahrzehnte später fanden die „Alternate Takes“ den Weg ans Licht, als Johnsons Gesamtwerk neu aufgelegt wurde.
Die Doppel-CD The Complete Recordings versammelt alle diese historischen Aufnahmen: Insgesamt 41 Tracks, bestehend aus den 29 Originalsongs plus 12 Alternate Takes. (Eine einzige verschollen geglaubte Aufnahme – ein alternativer Take von “Traveling Riverside Blues“ – wurde erst 2011 entdeckt und in einer späteren Edition ergänzt) Außer den genannten Studio-Sessions sind keine weiteren Aufnahmen von Robert Johnson bekannt – weder Live-Mitschnitte, Radio-Sessions noch Ähnliches. The Complete Recordings beinhaltet also tatsächlich Johnsons gesamtes Ton-Erbe, was den Stellenwert dieser Veröffentlichung ausmacht.
The Complete Recordings: Veröffentlichung und Wirkung
Nach Johnsons frühem Tod gerieten seine 78rpm-Schellackplatten zunächst in Vergessenheit. Erst im Zuge des Folk- und Blues-Revivals der 1960er Jahre wurden seine Songs auf Langspielplatten wiederveröffentlicht – allen voran die Columbia-LP King of the Delta Blues Singers (1961), die viele zukünftige Rockmusiker tief beeindruckte. Eine umfassende Werkschau ließ jedoch länger auf sich warten. Der Bluesforscher Stephen LaVere stellte zwar bereits Mitte der 1970er alle verfügbaren Johnson-Aufnahmen zusammen, doch Rechtsstreitigkeiten um die Nachlassrechte verzögerten eine Veröffentlichung über Jahre. Erst 1990 war es soweit: Unter dem Titel The Complete Recordings veröffentlichte Columbia Records Johnsons vollständiges Oeuvre als Doppel-CD – inkl. sorgfältig restauriertem Klang und Begleitbuch.
An der Entstehung dieser Box waren auch zwei britische Rock-Legenden beteiligt: Eric Clapton und Keith Richards steuerten enthusiastische Linernotes bei, in denen sie den Einfluss Robert Johnsons auf ihre eigene Musik hervorhoben. Clapton schrieb über Johnson: „…the most important blues musician who ever lived“ – „der wichtigste Bluesmusiker, der je gelebt hat“. Die Platte schlug überraschend kommerziell ein: The Complete Recordings erreichte Platz 80 der US-Albumcharts und verkaufte bis 1994 über eine Million Exemplare, was für ein historisches Blues-Archiv beispiellos war. 1991 gewann die Edition den Grammy Award in der Kategorie Best Historical Album. Dieser Erfolg löste einen regelrechten “Robert-Johnson-Hype” aus – plötzlich interessierte sich auch ein breiteres Publikum für den geheimnisvollen Bluesman aus Mississippi. 2003 wurde The Complete Recordings aufgrund seiner kulturellen Bedeutung sogar in die US-National Recording Registry aufgenommen.

Das zweite Foto, das es von Robert Johnson gibt
Seit der Erstausgabe 1990 sind mehrere Neuauflagen erschienen (darunter The Centennial Collection 2011 zum 100. Geburtstag), doch inhaltlich bieten alle dasselbe beeindruckende Zeitdokument. Die Ausgabe von 2008, wie sie hier vorliegt, enthält ebenfalls die 41 klassischen Aufnahmen in remasterter Form. Wer „The Complete Recordings“ besitzt, hält ein Stück Musikgeschichte in Händen.
Einfluss auf Blues und Rockmusik
Obwohl Robert Johnsons Karriere nur wenige Monate umfasste, ist sein Einfluss auf die Musik riesig und nachhaltig. Zahlreiche Blues- und Rock-Künstler berufen sich auf Johnson als Inspiration. Vor allem die britischen Bluesrock-Pioniere nahmen sich in den 1960ern seiner Songs an: Die Rolling Stones etwa coverten “Love in Vain” (1969) und “Stop Breakin’ Down” (1972) auf ihren Alben. Gitarrist Keith Richards betont bis heute Johnsons magische Gitarrentechnik. Eric Clapton wiederum machte Johnsons Stück “Cross Road Blues” (überarbeitet als „Crossroads“) durch seine Band Cream einem Rock-Publikum bekannt. Jahrzehnte später nahm Clapton mit Me and Mr. Johnson (2004) sogar ein komplettes Tribute-Album mit Johnson-Songs auf. Er beschrieb, bis heute habe ihn kein Musiker so geprägt wie Robert Johnson – dessen Musik sei für ihn ein fixer Orientierungspunkt und „das reinste, intensivste, was ich je gehört habe“. Auch andere Größen, wie z. B. Muddy Waters haben Johnsons Sound als wegweisend für ihre eigene Entwicklung bezeichne. Viele von Johnsons Kompositionen gelten inzwischen als Blues-Standards (“Sweet Home Chicago”, “I Believe I’ll Dust My Broom”, “Hellhound on My Trail” u.a.) und tauchen in den Repertoires unzähliger Bands auf. Man kann ohne Übertreibung sagen: Robert Johnson legte mit seinem Werk einen Grundstein, auf dem Chicago Blues, Rock ’n’ Roll und letztlich die gesamte Rockmusik mit aufbauten.
Tod mit 27: Tragisches Ende einer Legende
Robert Johnson erlebte seinen späten Ruhm nicht mehr. Er starb am 16. August 1938 im Alter von nur 27 Jahren – unter bis heute nicht völlig geklärten Umständen. Sein Tod markiert somit einen der frühesten Fälle des berüchtigten „Club 27“.
(später „traten“ Rockstars wie Hendrix, Joplin oder Cobain diesem traurigen Klub bei). Offiziell wurde bei Johnson „Syphilis“ als Todesursache vermerkt, doch diese Angabe ist zweifelhaft. Zeitzeugen und Familienmitglieder berichten, dass Robert Johnson in der letzten Nacht seines Lebens in einem Lokal namens Three Forks nahe Greenwood (Mississippi) spielte. Dort habe er angeblich mit der Frau des Wirts angebandelt, woraufhin der eifersüchtige Ehemann Johnson einen mit Gift versetzten Whiskey unterjubelte. Johnson starb qualvoll nach wenigen Tagen Fieber und Krämpfen – und mit ihm verschwand eine der schillerndsten Persönlichkeiten des frühen Blues. Er wurde in einem ungezeichneten Grab beerdigt; bis heute streiten drei verschiedene Kirchenfriedhöfe in Mississippi darum, welche die echte Ruhestätte des Bluesmannes ist.
Trotz seines kurzen Lebens und schmalen Werkkatalogs hinterließ Robert Johnson ein immenses kulturelles Erbe. Seine Musik lebt in zahllosen Coverversionen weiter, und seine eigene Legende inspirierte Bücher, Dokumentationen und sogar Spielfilme. So greift etwa der Hollywood-Film Crossroads – Pakt mit dem Teufel (1986) Johnsons Teufelssage auf und dramatisiert sie für ein breites Publikum. Wesentlich näher an den historischen Fakten bleibt die Netflix-Dokumentation ReMastered: Devil at the crossraods (2019) in der auch Johnsons Nachfahren und prominente Musiker wie Keith Richards zu Wort kommen. Letztlich überstrahlt jedoch die Musik all die Mythen: The Complete Recordings bietet die einmalige Gelegenheit, Robert Johnsons komplette Songs so zu hören, wie sie 1936/37 im Delta eingefangen wurden. Dieses Doppelalbum ist ein zeitloser Klassiker des Blues.

Anmerkung: Auf dem obigen Foto ist nicht Robert Johnson zu sehen
Hinweis: Dieser Beitrag ist der Auftakt zu meiner neuen Serie über die 50 besten Blues-Alben aller Zeiten. Eine Übersicht über alle laufenden und geplanten Serien auf meinem Blog findest du hier: Serien auf meinem Musikblog.
Die CD kann man unter anderem hier und hier kaufen.
Das Vinyl kann man hier bekommen. Es enthält jedoch nicht die Alternative Takes.
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