„Kind of Blue von Miles Davis“ gehört zu den bekanntesten Jazzalben des 20. Jahrhunderts. Die Musik wirkt zeitlos, ruhig und konzentriert. Das Album entstand innerhalb von zwei Tagen. Der Mythos, die Magie von „Kind of Blue“ kam jedoch erst später.

Einleitung
In diesem Beitrag geht es um die Entstehung des Albums, den Ansatz des Modal Jazz, der Trackliste des Original-Vinyls, Hinweise zu späteren CD-Ausgaben, ein empfehlenswertes Buch zur Albumgeschichte und eine nüchterne Einschätzung, warum „Kind of Blue“ auch heute noch relevant ist.
Entstehung und Aufnahmesessions
Das Album wurde an zwei Tagen aufgenommen: am 2. März und am 22. April 1959 im legendären CBS 30th Street Studio in New York.
Im Rahmen dieser Sessions rief Miles Davis eine Band zusammen, die auf bereits bestehenden Projekten beruhte — ergänzt durch Gäste und Rückkehrer.
Für die Musiker und Davis selbst waren die Aufnahmen eine unter vielen. Nach dem Job wurden die Instrumente eingepackt und es ging weiter. Keiner hatte damals das Gefühl, etwas Großes, Besonderes geschaffen zu haben.
Die Musiker hatten laut Zeitzeugen die Stücke vor der Aufnahme nicht gemeinsam geprobt. Davis legte lediglich Skizzen/Themen bzw. Tonräume fest — die Details der Improvisationen entstanden spontan im Studio.
Damit begann eine kreative Arbeitsweise, die weniger auf festgelegte Harmonien setzte als auf Skalen und Stimmung — ein mutiger Schritt weg vom damals dominierenden komplexen Bebop-Jazz.

Was ist Modal Jazz?
Mit „Kind of Blue“ vollzog Davis einen Paradigmenwechsel im Jazz: Weg von komplexen Akkordfolgen und schnellen Veränderungen, hin zu einer Klangsprache, die sich auf Modus (Skalen) stützte — deshalb „modaler Jazz“.
Im traditionellen Jazz bzw. Bebop wurde meist über Akkordwechsel improvisiert — jeder Akkord gibt bestimmte harmonische Farben vor, über die die Soli entfalteten. Modal Jazz hingegen reduziert diese Vorgabe: Man wählt für ein Stück eine Tonleiter oder einen Modus, und die Musiker improvisieren frei innerhalb dieser „Skala“. Das schafft Raum für mehr lyrische Freiheit, Spontaneität und künstlerische Individualität.
Bill Evans spielte dabei eine zentrale Rolle: Sein sensibler, subtiler Anschlag und seine Erfahrung mit klassischer Musik halfen, diesem neuen Ansatz eine weiche, introspektive Klangfarbe zu geben.
So entstand ein Album, das nicht durch virtuoses Tempo und technische Komplexität beeindruckt, sondern durch Atmosphäre, Stimmung und musikalische Tiefe — mit vielen improvisierten Momenten.
Die beteiligten Musiker
Die Band auf „Kind of Blue“ liest sich wie ein Who’s Who des Jazz der damaligen Zeit:
- Miles Davis – Trompete
- John Coltrane – Tenorsaxophon
- Cannonball Adderley – Altsaxophon (mit Ausnahme von „Blue in Green“)
- Bill Evans – Piano (mit Ausnahme des Stücks „Freddie Freeloader“)
- Wynton Kelly – Piano auf „Freddie Freeloader“
- Jimmy Cobb – Schlagzeug
Diese außergewöhnliche Besetzung trug entscheidend zur dichten, zugleich offenen Stimmung des Albums bei: Jeder Musiker hatte Raum für eigene Ideen, blieb dabei aber Teil eines sensibel abgestimmten Ganzen.

Tracklist (Vinyl)
Die Original-Vinyl-Ausgabe enthält fünf Titel.
Seite A
- So What – 9:22
- Freddie Freeloader – 9:46
- Blue In Green – 5:37
Seite B
- All Blues – 11:33
- Flamenco Sketches 9:26

Hinweise zur CD-Ausgabe
Die CD-Ausgaben von Kind of Blue enthalten grundsätzlich die fünf Haupttracks der Original-LP. Zusätzlich ist auf meiner CD-Ausgabe noch eine alternative Version von „Flamenco Sketches“ enthalten. Es gibt weitere CD-Versionen, auf denen auch verschiedene Bonustracks enthalten sind.

Der Geschwindigkeitsfehler der ersten Seite
Die Original-LP-Version „Kind of Blue“ enthält auf Seite A einen kuriosen technischen Makel: Die drei Titel „So What“, „Freddie Freeloader“ und „Blue in Green“ sind zu schnell aufgenommen worden und einen Viertelton zu hoch. Dieser Fehler entstand während der Aufnahmesession am 2. März 1959 im Columbia Studio 30th Street in New York. Die Master-Bandmaschine litt unter einem leichten Motorproblem, das sie minimal langsamer laufen ließ, als es hätte sein sollen – ein Defekt, der damals unbemerkt blieb.
Beim Abspielen der Bänder auf einer korrekt eingestellten Maschine führte dies zu der beschleunigten Wiedergabe, die das lockere, coole Modal-Jazz-Feeling der Stücke subtil veränderte. Die Musik wirkte dadurch dynamischer und höher, was viele Hörer jahrzehntelang als Teil des einzigartigen Sounds akzeptierten. Erst im Jahr 1992 entdeckten Tontechniker den Fehler bei der Analyse der Original-Masterbänder.
Dank einer erhaltenen Sicherheitskopie im richtigen Tempo konnte der Makel behoben werden. Seit der Remaster-CD-Ausgabe von 1997 und späteren Editionen erklingen diese Tracks „endlich“ in der authentischen Geschwindigkeit, wie Miles Davis und seine Band sie live eingespielt hatten. Dieser Vorfall unterstreicht die Herausforderungen analoger Aufnahmetechnik und hat „Kind of Blue“ zu einem noch faszinierenderen Objekt jazzhistorischer Detektivarbeit gemacht.

Ashley Kahns „Kind of Blue: Die Entstehung eines Meisterwerks“
Empfehlenswert ist die Lektüre eines Werkes, das sich ausschließlich mit „Kind of Blue“ beschäftigt. Ich habe mir dieses Buch 2000 gekauft und vor dem Erstellen dieses Beitrags noch einmal gelesen.

Das Buch von Ashley Kahn, erschienen 2000 (und 2002 in zweiter Auflage), taucht tief in die Entstehung von Miles Davis‘ legendärem Album „Kind of Blue“ ein und gilt als maßgebliches Werk zur Jazzgeschichte. Kahn rekonstruiert die Sessions von 1959 anhand unveröffentlichter Interviews mit Beteiligten wie Bill Evans, John Coltrane und Teo Macero sowie Studio-Notizen und Original-Manuskripte.
Inhalte und Schwerpunkte
Kahn beleuchtet die innovativen Modal-Jazz-Experimente, Miles Davis‘ kreative Führung und die spontane Magie der Aufnahmen im Columbia 30th Street Studio. Besonders faszinierend sind Details zu den Skizzen von Bill Evans und Gil Evans, die den modalen Ansatz prägten. Das Buch enthüllt auch technische Hintergründe, wie den später entdeckten Geschwindigkeitsfehler auf Seite A.
Relevanz für Fans
Mit ca. 270 Seiten voller Anekdoten, Fotos und Analysen ist dieses Buch eine wahre Goldgrube für Jazzliebhaber, die mehr über das Album und seine Entstehung wissen wollen. Auch über die mitwirkenden Musiker erfährt man biografisches.

Fazit
„Kind of Blue“ ist ein Album, das nicht laut werden muss, um zu wirken. Es basiert auf Einfachheit, Ruhe und Konzentration. Der Verzicht auf komplexe Akkordfolgen führt nicht zu weniger Inhalt, sondern zu mehr Klarheit. Viele Hörer erleben die Musik als entspannt, strukturiert, tief und entschleunigend.
Dieses Album haben aufgrund dessen auch viele „Nichtjazzfans“ in ihrer Sammlung.
Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Die 50 besten Jazzalben aller Zeiten“ – einer Auswahl von Alben, die sich in meiner eigenen Sammlung befinden und hier nach und nach vorgestellt werden. Wer sich für das Album interessiert, kann es zB unter den unten aufgeführten Links finden:
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